Was macht eine agile Transformation laut Wissenschaft erfolgreich?
Eine evidenzbasierte Intervention
Wir begleiten eine Menge agiler Transformationen. Wir sprechen dazu regelmäßig mit Führungskräften, mit BeraterInnen, mit CEOs und Agile Coaches. Und ein Widerspruch begegnet uns immer wieder.
Die agile Welt beruht auf drei Prinzipien (Je nachdem wie man guckt, aber man kann so gucken, wie wir das gerade tun):
Transparenz
Inspizieren
Anpassen
Wir wollen also empirische, datenbasierte Entscheidungen treffen, um schlank gute Ergebnisse zu erzielen. Aber dafür gibt es sehr viel Meinung und sehr viel Marketing, aber sehr wenig in der Wissenschaft verankerte Theorie in der agilen Welt.
Wir fragen uns manchmal, ob das daran liegt, dass der Wissenschaft ein unpragmatisches Stigma anhaftet. Jedoch gibt es eine ganze Menge sehr gute Forschung dazu. Deswegen wollen wir in dieser Ausgabe die gängigsten Fragestellungen rund um agile Transformationen wissenschaftlich fundiert beantworten.
Was sind die Ziele von agilen Transformationen?
Das Hauptziel agiler Transformationen besteht darin, die organisatorische Agilität und Reaktionsfähigkeit auf Marktveränderungen zu verbessern. Studien zeigen, dass agile Methoden Unternehmen in die Lage versetzen, schnell auf Kundenbedürfnisse zu reagieren, Entwicklungszyklen zu verkürzen und Betriebskosten zu senken (Naslund & Kale, 2019; Russo, 2021). Der Fokus von Agile auf iterative Entwicklung ermöglicht es den Teams, kontinuierlich Kundennutzen zu liefern und fördert eine flexiblere und innovativere Kultur (Paasivaara et al., 2018). Mit der Einführung von Agile wollen Unternehmen nicht nur ihre Effizienz steigern, sondern auch die Zufriedenheit der Stakeholder erhöhen, indem sie ihre Projekte auf die Erwartungen der Kunden und die strategischen Ziele abstimmen (Serrador & Pinto, 2015).
Wie messen wir den Erfolg bei unserer agilen Transformation?
Die Erfolgsmessung bei agilen Transformationen umfasst mehr als nur die Verfolgung traditioneller Projektmanagement-Kennzahlen. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Kombination quantitativer Kennzahlen (z. B. time-to-market, Codequalität - bspw. wie viel % des geschriebenen Codes durch automatisierte Tests geprüft werden kann - und Team-Velocity - also wie viele Aufgaben ein Team pro Iteration schafft) mit qualitativen Bewertungen (z. B. Kundenzufriedenheit und Ausrichtung auf die Stakeholder) einen ganzheitlicheren Blick ermöglicht (Olszewska et al., 2016). Tools wie die Application Intelligence Platform von CAST (Kurzer Disclaimer: Wir haben selbst nicht damit gearbeitet, aber vielleicht hilft es einigen von Euch) ermöglichen es Unternehmen, Verbesserungen der strukturellen Codequalität und des funktionalen Outputs zu messen und sich auf die Bereitstellung von Business Value zu konzentrieren, anstatt nur Codezeilen zu verfolgen (Snyder, 2017). Durch die kontinuierliche Bewertung sowohl der Leistung als auch des Kundenfeedbacks können Unternehmen sicherstellen, dass sie auf dem richtigen Weg zu ihren Transformationszielen sind (Serrador & Pinto, 2015). Die Organisationspsychologie bietet zahlreiche Methoden zur quantitativen Bewertung der Veränderungsbereitschaft, der Team-Moral oder sogar der organisatorischen Agilität. Wenn Du denkst, dass dies Deiner Organisation helfen könnte, schick uns gern eine Nachricht, um mehr zu erfahren.
Zwei wichtige Anmerkungen zur Team-Velocity:
Velocity ist team-spezifisch: Die Geschwindigkeit eines Teams kann nicht mit anderen Teams verglichen werden, da jedes Team unterschiedlich arbeitet. Meist basiert die Velocity auf sogenannten Storypoints. Einer fiktiven Schätzgröße, die jedes Team für sich selbst festlegt. Was in einem Team als 8 Story Points definiert ist, kann in einem anderen als 27 Storypoints definiert sein. In dem Moment, wo ich Storypoints als Leistungsmetrik einsetze, neigen Teams dazu die Arbeit einfach mit mehr Storypoints zu “bepreisen”. Zack: Schon habe ich mehr Velocity, also Storypoints pro Iteration. Bei gleicher getaner Arbeit.
Keine absolute Messgröße: Die Velocity dient der Selbstkontrolle und Planung des Teams und sollte nicht als Leistungsdruck verwendet werden. Um selbst zu bewerten, wie ein Team sich entwickelt, sind Storypoints unserer Erfahrung nach eine wertvolle Möglichkeit!
Welche kulturellen Veränderungen sind notwendig, um agile Praktiken zu unterstützen?
Eine erfolgreiche agile Transformation erfordert einen erheblichen Kulturwandel innerhalb der Organisation. Dazu gehört der Wechsel von hierarchischen Strukturen zu selbstorganisierten, funktionsübergreifenden Teams, in denen Zusammenarbeit und dezentrale Entscheidungsfindung die Norm sind (Russo, 2021).
Lässt man die Symbiose aus agilen Frameworks und wirtschaftspsychologischen Erkenntnissen zu, bedeutet das Gegenteil von schlechter Führung nicht keine Führung, sondern gute Führung, die dafür sorgt, dass Selbstorganisation nicht zum belastenden Hemmschuh des Transformationsprozesses wird, sondern vielmehr effektives und gesunden Arbeiten ermöglicht!
Organisationen müssen eine Denkweise fördern, die auf kontinuierliches Lernen und Verbesserung ausgerichtet ist und Transparenz und offene Kommunikation umfasst (Dikert et al., 2016). Agilität erfordert auch einen kundenorientierten Ansatz, bei dem der Schwerpunkt auf der Bereitstellung von Werten und nicht auf der Einhaltung starrer Prozesse liegt (Kuhrmann et al., 2021). Der Aufbau einer Kultur, die zu Experimenten ermutigt, Misserfolge als Lernchance begreift und Ergebnisse in den Vordergrund stellt, ist der Schlüssel zur Nachhaltigkeit einer agilen Transformation.
Welchen Herausforderungen könnten wir während dieser Transformation begegnen und wie können wir sie überwinden?
Agile Transformationen sind nicht ohne Herausforderungen. Häufige Hindernisse umfassen Widerstände gegen Veränderungen, Koordinationsprobleme in verteilten Teams und Schwierigkeiten bei der Integration von Agile in bestehende Legacy-Systeme (Also ein gewachsenes “Altsystem) (Dikert et al., 2016; Snyder, 2017). Ohne starke Unterstützung des Managements können Agile Transformationen an Schwung verlieren und die erwarteten Ergebnisse nicht liefern (Russo, 2021).
Um diese Herausforderungen zu meistern, können Organisationen fortgeschrittene Methoden aus der Organisationsentwicklung und dem Organisationsdesign nutzen, um eine erfolgreiche Transformation sicherzustellen:
Unterstützung durch das Top-Management sichern: Stelle sicher, dass Führungskräfte vollständig hinter der agilen Reise stehen, indem du aufzeigst, was gut funktioniert hat und sie in wichtige Entscheidungsprozesse einbindest (Dikert et al., 2016). Die Nutzung von Kotters 8-Schritte-Modell für Veränderungen kann einen strukturierten Ansatz bieten, einschließlich des Aufbaus einer leitenden Koalition, um die Veränderung voranzutreiben (Kotter, 2012).
In Schulungen und Change Management investieren: Umfassende Agile-Schulungen für Teams und Führungskräfte sind entscheidend. Die Nutzung von Appreciative Inquiry (AI) kann den Fokus auf die Stärken der Organisation lenken und eine positive Einstellung gegenüber Veränderungen fördern (Naslund & Kale, 2019). Dieser Ansatz ermöglicht lösungsorientierte Dialoge und hilft, Widerstände zu überwinden.
Schrittweise Einführung mit kontinuierlichem Feedback: Beginne mit Pilotprojekten, um agile Praktiken zu testen, Feedback zu sammeln und Prozesse zu verfeinern, bevor die Skalierung in der gesamten Organisation erfolgt (Olszewska et al., 2016). Design Thinking-Workshops können genutzt werden, um neue Prozesse zu prototypisieren, sodass Teams schnell iterieren und basierend auf realem Feedback Anpassungen vornehmen können.
Offene Kommunikation und Zusammenarbeit fördern: Fördere eine Kultur, in der Teams Ideen und Herausforderungen frei teilen können. Liberating Structures können genutzt werden, um offene Dialoge und Zusammenarbeit zu fördern, was das Engagement der Teams erhöht. Darüber hinaus kann eine Organizational Network Analysis (ONA) helfen, sozio-technische Netzwerke zu identifizieren und die Kommunikation in verteilten Teams zu optimieren (Paasivaara et al., 2018).
Agile Initiativen mit den Geschäftsfähigkeiten in Einklang bringen: Verwende Business Capability Mapping, um sicherzustellen, dass agile Praktiken mit strategischen Prioritäten übereinstimmen. BCM ist eine Methode, um die Fähigkeiten und Kernkompetenzen eines Unternehmens zu identifizieren und zu visualisieren. Es hilft, strategische Prioritäten mit den operativen Fähigkeiten abzugleichen und zeigt auf, welche Bereiche für Investitionen oder Verbesserungen im Rahmen von Transformationen wichtig sind. Dies hilft bei der Priorisierung von Initiativen, die den größten Einfluss haben und somit die Ausrichtung an den allgemeinen Geschäftszielen fördern (Kuhrmann et al., 2021). Objectives and Key Results (OKRs) sind ebenfalls ein nützliches agiles Framework für diesen Zweck.
Agile Frameworks an die Bedürfnisse der Organisation anpassen: Passe die gewählte agile Methodik an bestehende Prozesse und Strukturen an, um einen reibungsloseren Übergang zu gewährleisten (Kuhrmann et al., 2021). Verwende dafür datenbasierte Ansätze!
Eine kollaborative und transparente Kultur fördern: Nutze Prinzipien der Lean Enterprise Transformation, um Wertströme zu optimieren, Verschwendung zu beseitigen und die Effizienz zu steigern. Regelmäßige Team Health Checks, wie beispielsweise der Spotify Squad Health Check, können die Dynamik und psychologische Sicherheit im Team beobachten und sicherstellen, dass die Teams effektiv arbeiten.
Nutze wissenschaftlich fundierte Ansätze, um präzisere Einblicke zu gewinnen!
Outro
Wir hoffen, dieses Briefing hat dir gefallen und du fandest es für dich und deine Organisation wertvoll. Wenn ja, würden wir uns sehr freuen, wenn du diesen Beitrag an ein bis zwei Personen weiterleitest, die ihn ebenfalls nützlich finden könnten!
Wenn mehr dazu wissen willst, wie das Deiner Organisation helfen könnte, schick uns gern eine Nachricht an hallo@fourfates.de.
Bis nächste Woche!
Quellen
Dikert, K., Paasivaara, M., & Lassenius, C. (2016). Challenges and success factors for large-scale agile transformations: A systematic literature review. The Journal of Systems and Software, 119, 87–108. https://doi.org/10.1016/j.jss.2016.06.013
Kotter, J. P. (2012). Leading change. Harvard Business Press.
Kuhrmann, M., Tell, P., Hebig, R., Klünder, J., Münch, J., Linssen, O., Pfahl, D., Felderer, M., Prause, C. R., MacDonell, S. G., & others. (2021). What makes agile software development agile? IEEE Transactions on Software Engineering. https://doi.org/10.1109/TSE.2021.3099532
Naslund, D., & Kale, R. (2019). Is agile the latest management fad? A review of success factors of agile transformations. International Journal of Quality and Service Sciences, 12(1). https://doi.org/10.1108/IJQSS-12-2019-0142
Olszewska, M., Heidenberg, J., Weijola, M., & Porres, I. (2016). Quantitatively measuring a large-scale agile transformation. The Journal of Systems and Software, 117, 258–273. https://doi.org/10.1016/j.jss.2016.03.029
Paasivaara, M., Behm, B., Lassenius, C., & Hallikainen, M. (2018). Large-scale agile transformation at Ericsson: A case study. Empirical Software Engineering, 23(2), 255-291. https://doi.org/10.1007/s10664-017-9555-8
Russo, D. (2021). The Agile success model: A mixed-methods study of a large-scale agile transformation. ACM Transactions on Software Engineering and Methodology, 30(4). https://doi.org/10.1145/3464938
Serrador, P., & Pinto, J. K. (2015). Does Agile work? A quantitative analysis of agile project success. International Journal of Project Management, 33(5), 1040-1051. https://doi.org/10.1016/j.ijproman.2015.01.006
Snyder, B., & Curtis, B. (2017). Using analytics to guide improvement during an Agile–DevOps transformation. IEEE Software, 34(1), 78–85. https://doi.org/10.1109/MS.2017.7
Beste Grüße und bis uns das psychologische Schicksal wieder zusammenführt,
Moritz und Nico
Wirtschaftspsychologie-Briefing